Was machen Pakistanis sonntags früh um 7?

Tobi mit Dorfkollege - portrait
Ich schätze ich sollte was zu den Anschlägen in Paris schreiben. Ja, das ist erschütternd. Schlimm. Unmenschlich. Und gleichzeitig: Ähnliches passiert ja täglich auf der Welt: In Syrien, Afghanistan, Pakistan, Mali. Mutwillige Tötungen, Gewalt, Unterdrückung. Dadurch, dass ich immer wieder ärmeren Ländern unterwegs sein darf, relativiert bzw. ergänzt sich für mich das Bild der europäischen Schlagzeilen etwas: In Bangladesh wurden die letzten Monate immer mehr Blogger und Freigeister brutal umgebracht, auch weil diese Taten von offizieller Seite nicht konsequent verfolgt werden. In Pakistan war nach einem Attentat mal wieder einige Tage das komplette Internet und Telefonnetz abgeschalten. In Kashmir sterben Menschen in Zusammenstößen zum dortigen Unabhängigkeitskonflikt. Und so weiter. Und auch bei den Menschen, mit denen unsre Freunde in Bangladesch zu tun haben, sterben immer wieder welche an unnötigen Krankheiten, verwitwen Frauen, verwaisen Kinder. Was soll man da sagen? – Dass Frankreich gleich am nächsten Tag Luftangriffe in Syrien gestartet hat, kommt mir wie eine Verzweiflungstat vor: Bevor ich mir eingestehe, dass ich verletzlich bin und nicht alles unter Kontrolle habe, tue ich lieber etwas. Wenn unsre Tochter Maya verzweifelt ist und nicht mehr weiter weiß, ist „…sonst sag ich’s!“ ihre letzte Zuflucht, auch wenn gar nicht klar ist, wem sie’s sagen kann.

Ich hab auch nicht die seeligmachende Lösung. Aber Initiativen von Menschlichkeit und Zusammengehörigkeit, wie jetzt mit den Flüchtlingen, oder mit Menschen in ärmeren Ländern, solche können das Gesicht der Welt, insbesondere der westlichen, noch am ehesten verändern. Und damit dazu führen, dass es auch weniger Akte von Gewalt gibt, die ja letztlich auch Ausdruck von Verzweiflung sind. Und was auch helfen kann: Eine innere Leichtigkeit, und manchmal Humor.

In dem Sinne meine Beitrag aus meiner letzten Pakistanreise:

Was machen Pakistanis sonntags früh um 7?

  1. Ihren (alkoholfreien) Rausch vom Samstagabend ausschlafen.
  2. Die pakistanische Flagge im Wohnzimmerschrein aufziehen.
  3. In Paaren und mit Freunden gehend und fussballspielend im Park ihren Frühsport absolvieren.

Na, eine Idee? Es ist tatsächlich das Letztere: Letzten Samstag bin ich beim Joggen in der University for Agriculture of Faisalabad früh um 7 von den fussballspielenden Jungs dort aufgehalten worden, die nicht locker gelassen haben, bis ich mitgespielt habe. Das war so gut, dass ich am nächsten Morgen gleich wieder da war; bei diesem Spiel gab es allerdings so viele Diskussionen wegen Handspiel u.ä., dass ich zumindest am Abend etwas entgegensetzen konnte, als mein Kollege sagte, er könne sich gar nicht vorstellen, wie sich diese friedlichen Menschen hier auf der Straße Streitereien liefern könnten – beim Fußball kriegt man zumindest eine Idee davon. Wobei das aber in dem Fall mehr Spaß war und glimpflich ablief.

Village-Popcorn
Village-Popcorn

An der Uni waren wir, um einen Workshop abzuhalten, der mit unserem Dorfprojekt zu tun hat, wo wir eine Kombination aus Solarstrom, Biogas und Tröpfchenbewässerung machen wollen, um die Lebensbedingungen der Menschen auf dem Dorf zu verbessern. Und es war schön mitzuerleben, wie diese Dozenten dieser Landwirtschaftsuni alle gleichzeitig auch selbst Bauern sind und aus eigener praktischer Erfahrung lebhaft beigetragen haben, wieviel Ertrag bei den verschiedenen Kulturen zu erwarten ist.

Auf dem Dorf, wo all das passieren soll, waren wir auch wieder, und ich hatte die Chance, wieder „meine Patientin“ zu besuchen (s. Blogeintrag vom …). Mein Kollege Rashid hatte sich mittlerweile darum gekümmert, dass sie zu einem ordentlichen Doktor kam (die erste Klinik hatte sie mehr oder weniger ohne große Untersuchung aufgegeben), wo sich dann heraussstellte, dass sie nicht die ganz schlimme Art von Hepatitis hat, sondern eine chronische Lebererkrankung. Diese ist behandelbar, und obwohl sie noch nicht sehr gut aussah, ist sie wohl auf dem Weg der Besserung – eine echte Freude.

Mein Freund Ahmed ist jetzt auch in der (Kommunal-)Politik.
Mein Freund Ahmed ist jetzt auch in der (Kommunal-)Politik.

Fussball spielen sie auch von unseren Partnern bei PEP aus in Dhaka jeden Morgen mit den Straßenkindern. Als ich im Februar dort war, habe ich einmal mitgespielt, und das war wirklich eine lustige Erfahrung: Das Spielfeld ist uneben, die Mannschaften der 6-12-jährigen ziemlich unklar und viel zu groß für den Platz. Aber die Jungs haben eine riesige Freude daran. Anschließend bekommen sie immer einen Snack in Form von Tee („Cha“) und einem Brötchen. Da sind es dann manchmal über hundert (!) Kinder und Alte die da zusammenkommen; ich frage mich, wie sie das managen ohne das das in Chaos ausartet… Jetzt für den Winter organisieren sie auch Kleider und Decken für die Familien, die auf der Straße leben; wir wollen euch im Dezember dann auch die Möglichkeit geben, für dieses und die anderen Projekte zu spenden.

Alteingesessene Dorfbewohner - was für eine Ausdruckskraft!
Alteingesessene Dorfbewohner – was für eine Ausdruckskraft!

Die kompletten letzten News aus Bangladesh auf Englisch findet ihr hier.

Ich schreibe diese Zeilen irgendwo über Ungarn, auf dem Rückflug. Während in Bangladesh und Pakistan jetzt die angenehmste Jahreszeit ist (angenehm kühl am Morgen, und warm am Tag) geht es in Deutschland schon langsam in die dunkle, kalte Jahreszeit. Hoffen wir, dass wir auch unsre neuen Gäste aus Südosteuropa und weiter her gut versorgt bekommen.

Herzliche Grüße, Euer Tobi

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